Bayern, Heimat, Tradition, Brauchtum - gestern, heute, morgen
In einem Holzschifferl auf dem Inn schaukeln und träumen
Immer wenn meine Enkelkinder große Ferien haben wie jetzt, denke ich gerne an meine Kinderzeit zurück. Denn ich durfte in den Schulferien immer zu meiner Tante Resi, Onkel Ernst, meiner Cousine Erna und meinen Cousins Fred und Ernst in die Hofleiten fahren. Ihr Haus lag, nur durch eine Straße getrennt, direkt am Inn. Tante Resi hatte am Ufer des Inns ein kleines Gärtchen. Dort hängte sie auch die Wäsche auf. Für mich war es ein wunderbarer Platz, denn auf dem Inn wiegte sich ein kleines, am Ufer angehängtes Holzboot im Wind. Ich durfte mich, bis die Tante ihre Arbeit verrichtet hatte, hineinsetzen. Jedoch musste ich ihr hoch und heilig versprechen, dass ich ganz gut aufpasse, dass ich nicht ins Wasser falle. Schwimmen konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es ist nie etwas passiert. Rückwirkend gesehen war es ein außergewöhnliches Erlebnis, das ich Zuhause niemals gehabt hätte. Wasser hat nämlich auf Kinder eine besondere Anziehungskraft. Wir hatten in Aign nur einen kleinen Froschweiher, der an das Schuster-Anwesen angrenzte, in Sichtweite.
Das stille Örtchen am Balkon von Tante Resi gehörte zum Ferienerlebnis
Niemand wird es so richtig nachvollziehen können, aber das Freiluftklo der Familie Wunsam faszinierte mich immer wieder. Es befand sich nämlich dort, wo es heutzutage keiner vermuten würde - nämlich auf der Altane, wie man früher zum Balkon sagte. Wie in alten Bauernkomödien auf amüsante Weise dargestellt, war es ein Holzhäuschen, der einen Holzabort - volkstümlich als Plumpskloo bezeichnet - intus hatte, das es mir angetan hatte. Aber nicht deswegen, sondern weil er eben auf dem Balkon platziert war. Meine Verwandten wunderten sich, dass ich auffallend oft zum Stillen Örtchen ging. Die Kinder der jetzigen Generation würden sich mit Händen und Füßen wehren, ein derartiges Klosett zu betreten, obwohl es Tante Resi im Rahmen der Möglichkeiten peinlichst sauber hielt. Man kannte es nicht anders. So ändern sich die Zeiten Ein Spülklosett und Klopapier hatte damals noch niemand. Die Zeitung wurde für hinterlistige Zwecke missbraucht. Rückwirkend gesehen, grenzte es an Körperverletzung, wenn man diese Art von Hygiene mit dem heutigen, weichen Kloopapier vergleicht. Aber man kannte es nicht anders.
Obwohl es mir bei Tante Resi gefiel, hatte ich immer Heimweh
Aber auch sonst war einiges los, wenn ich nach Hofleiten in die Ferien durfte. Da meine Cousine Erna schon etwas älter war, hatte ich nicht den Bezug zu ihr, wie mit Fred und Ernst. Sie waren offensichtlich erfreut darüber, wenn sie wieder jemand zum necken und ärgern hatten, wenn schon ihre ältere Schwester hierfür nicht mehr so oft zur Verfügung stand. Aber im großen Ganzen benahmen sie sich anständig, denn sonst wäre ich gar nicht so lange geblieben. Ich hatte nämlich immer gleich Heimweh, wenn irgendwo anders übernachten musste. Meine Tante Resi, die Schwester meiner Mutter, hatte ich sehr gern. Sie verstand es, mich immer wieder zu trösten, wenn ich traurig war.
Die Nähkünste von Tante Resi beendeten fiese Mobbingversuche
Manchmal war sie auch Retterin in Notlagen. Da meine Eltern nur das Nötigste zum Leben hatten, blieb für Kleidung, Schuhe, Spielzeug und so weiter nicht viel übrig. Ich bekam aber viel geschenkt. Auch bekamen wir zu Weihnachten immer Pakete von Verwandten aus Amerika. Es waren auch Klamotten dabei. Was nicht passte, machte Tante Resi passend.
Als ich schon in der Oberklasse war, zogen wir innerhalb unseres Wohnortes Aign um. Zwar nur ein paar Häuser weiter, aber dafür hatte unsere neue 2-Zimmer-Wohnung ein paar Quadratmeter mehr. Ich wuchs mit der zwei Jahre älteren Tochter Anneliese der Vermieterfamilie auf. Es war des öfteren Besuch aus Düsseldorf da, die ebenfalls eine Tochter dieser Alterklasse hatten.
Sie hieß Helga und wie es schon damals so war und auch immer noch ist: Drei sind eine zuviel. Sie schlossen mich aus ihren Aktivitäten aus und was noch schlimmer war, sie bekamen wunderschöne Stufenröcke, die damals angesagt waren. Ich muss zugeben, dass ich sowas von neidisch war. Meine Mama litt mit mir. Wie es der Zufall wollte, bekam ich von Verwandten in Zaisering einen Stoff geschenkt, der ähnlich wie die Röcke der beiden Angeberinnen aussah. Und jetzt kam wieder Tante Resi ins Spiel. Sie nähte mir den Rock genauso, wie ich ihn mir erträumte. Freudestrahlend erzählte ich den beiden die Neuigkeit. Die Resonanz: Wenn du auch so einen Rock bekommst, ziehen wir den unseren nicht mehr an! Tante Resi erwiderte: Sei froh, dann bist du die Schönste!
Mit Rad und Kindern zum Hamstern gefahren, um die Familie zu ernähren
Aber auch Onkel Ernst imponierte mir. Er kaufte sich schon sehr bald, nachdem die Goggomobile produziert wurden, einen Goggerl . Er war sehr stolz darauf und hütete ihn wie seinen Augapfel. Es galt die Devise nach dem Motto: Das Berühren der Figur mit den Pfoten ist verboten. Kurz: Mehr als einen halben Meter durfte man sich dem Gefährt nicht nähern. Man kann es ihm nicht verübeln, denn er musste sich diesen mühsam erarbeiten. Früher waren die Männer durchwegs Alleinverdiener.
Die Frau kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt. Berufstätige Frauen waren in 50er Jahren eine Seltenheit.
Lange habe ich die Geschichten meiner Mutter mit einer abwinkenden Handbewegung im Keim erstickt. Ich kapierte erst später, was die Generationen vor uns alles mitmachen und wie sie sich abplagen mussten. Zum Beispiel Tante Resi, für die ich große Bewunderung hegte. Meine Mutter erzählte mir, dass sie in der Woche mindestens einmal mit dem Rad nach Lohen bei Zaisering zum Hamstern fuhr. So nannte man früher das Horten von Lebensmitteln, Kleidung und anderen notwendigen Dingen, um im und nach dem Krieg die Familie durchzubringen. Meine Großeltern hatten eine Landwirtschaft und da fiel immer etwas ab. Damit bepackt, auf dem Sitz vor dem Lenker saß der kleine Ernst und auf dem Gepäckträger der ältere Fred, so fuhr sie ungefähr die 10 Kilometer nach Hofleiten zurück, wie sie zuvor hingefahren ist. Nur noch etwas schwerer und bemüht, alles heil heimzubringen. Man kann für die großartigen Leistungen allen Frauen dieser Generation postum allergrößten Respekt zollen.